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Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn
Zum hundertsten Geburtstag von J.R.R. Tolkien Drei Ringe den Elbenkönigen hoch im Licht, Sieben den Zwergenherrschern in ihren Hallen aus Stein. Den
Sterblichen, ewig dem Tode verfallen, neun. Einer dem dunklem Thron. Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn. Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden, Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden. Im Lande Mordor,
wo die Schatten drohn.Mit manchen Büchern verhält es sich seltsam. Sie enthalten nicht nur die Geschichte, die zwischen die Buchdeckel gebunden ist, sondern mit diesen
Büchern verbindet sich noch eine andere Geschichte, eine persönliche Geschichte, Die des Lesers. So ist es zum Beispiel bei mir mit dem Buch oder besser gesagt mit den drei Büchern "Der Herr der Ringe". Der
Verfasser ist J.R.R. Tolkien. Warum mir gerade dieses Buch wieder in den Sinn kommt? Durch einen kleinen Verlagsprospekt des Klett-Cotta Verlages, der die Bücher von Tolkien in Deutschland verlegt und in
diesem Verlag erscheint zu seinem hundertsten Geburtstag am 3. Januar 1992 eine Sonderausgabe von "Der Herr der Ringe". Dieser Prospekt setzte einen Erinnerungsprozeß in Gang. Ich habe die Bände von "Der
Herr der Ringe inzwischen mehrmals gelesen, habe mir sogar die deutsche Erstausgabe aus dem Jahre 1969 angeschafft und habe das Buch an Freunde weiter empfohlen und weiter verschenkt. Sogar bis nach Island, ein Land,
das für mich das Land ist, in dem man dieses Buch lesen sollte, dessen Landschaft Tolkien als Vorbild benutzt haben könnte. Für die Welt seiner Phantasie. Für Mittelerde, für Mordor, für Gondor und Rohan. Island, das
selbst voller Sagen und Sagenhaftem ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Aber die Überlegung war, wie kam ich darauf, dieses Buch zu kaufen und zu lesen und warum fasziniert es mich und andere Leser
in Deutschland und auf der ganzen Welt? Dazu muß ich ein wenig in der Zeit zurückgehen. Es ist meine persönliche Geschichte des Buches "Der Herr der Ringe". Und wie bei so vielen Geschichten
handelt es sich auch bei dieser Geschichte um eine Frau und um einen Mann. Oder, damals als diese Geschichte stattfand, um eine junge Frau und einen jungen Mann. Ich war der junge Mann und bei der jungen Frau handelte
es sich um eine ehemalige Mitschülerin. Als wir noch zusammen in eine Klasse gingen, verliebte ich mich in sie. Zu
dieser Zeit war ich noch schwärmerisch veranlagt und es war wohl so die erste große Liebe bei mir. Noch heimlich und nach innen gekehrt. Aber meine
Mitschülerin machte großen Eindruck auf mich. Nicht nur war sie in meinen Augen wunderschön, sondern sie war damals geistig wohl viel weiter als
ich zu dieser Zeit. Auf jeden Fall war ich von ihr hingerissen. Eines Tages nun hatten wir im Deutschunterricht einen Aufsatz zu schreiben. Es gibt ja nun im
Deutschunterricht viele intelligente Themen über die geplagten Schüler sich den Kopf zerbrechen müssen. Und diesmal mußten wir über
das Thema schreiben, ich kann es nur so ungefähr wiedergeben, den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, also
das Thema lautete ungefähr so: Wer möchte ich sein, wenn ich nicht ich wäre? Nun hatte ich damals meine
Science Fiction Phase, in der ich voll aufging und so war es klar, daß ich Erforscher und Kämpfer im Weltraum werden wollte und im Aufsatz
den Mut und Heldentum eines Raumfahrers in der modernen Zeit beschwor. Und was schrieb meine Favoritin? Sie schrieb ganz lapidar, daß der Gedanke,
jemand anderes zu sein, verlockend sei, aber schlußendlich wollte sie doch lieber sie selbst sein. Das verblüffte mich damals und es war der Anfang
meines Nachdenkens über mich selbst. Aber sie rückte durch diesen Aufsatz für mich in noch weitere
Ferne. Mit ihr konnte ich nicht mithalten. Kurz darauf mußte ich dann die Schule verlassen, da ich mich doch noch zu sehr mit meinen Heftchen über das Jahr 2400
beschäftigte, als mit der Schule. Aber das war nur die Einleitung.Später, viel später sah ich sie
wieder. Ich erkannte sie sofort wieder, aber sie wußte wohl nicht mehr, wer ich war. Was mich nicht verwunderte. Ich fuhr damals manchmal mit
demselben Bus wie sie oder ich traf sie an der Haltestelle. Ich war zu dieser Zeit wohl noch mehr verschüchtert
als zu der Schulzeit und so dauerte es einige Monate bis ich den Mut fand, sie anzusprechen. Wir trafen uns dann zwei- oder dreimal aber dann riß der
Kontakt wieder ab. Bis zum heutigen Tag. Aber bei einem dieser Treffen erzählte sie mir von diesem
Buch "Der Herr der Ringe" von Tolkien. Und sie erzählte so von diesem Buch, daß ich sofort in die nächste Buchhandlung ging und mir diese drei grüne
Bücher kaufte. Und die ich heute noch hüte. Und wenn ich sie lese, wiederlese, immer an diese Frau zurückdenke
, die mein Herz damals fest im Griff hatte, und wohl nie gewußt hat, wie sehr sie von mir Besitz ergriffen hatte. Ihr also verdanke ich das
Lesevergnügen der Ringsage. Sie und das Buch "Der Herr der Ringe" werden für mich immer zusammengehören. Aber das ist meine persönliche Geschichte
dieses Buches. Nun zu der Geschichte von "Der Herr der Ringe" und zu seinem Verfasser J.R.R. Tolkien. John
Ronald Reuel Tolkien wurde am 3. Januar 1892 in Bloemfontein, England geboren. Er studierte in Oxford englische Sprache und
Literatur. 1924 wird er Professor für englische Sprache. 1937 erscheint der Hobbit, 1954 und 1955 erscheinen die drei Bände von "Der Herr der Ringe". Am
28. August 1973 stirbt Tolkien. Er wird 81 Jahre alt. 12 Jahre benötigte Tolkien, um den Ringmythos zu schreiben.
In der Geschichte geht es um einen Ring. Bilbos Ring ist der herrschende Ring. Bilbo ist ein Hobbit aus dem Auenland. Dieser Ring
ist der eine Ring, der alle anderen beherrscht, Quelle und Werkzeug für die Macht Saurons, dem Dunklen Herrscher von Mordor. Der Ring muß zerstört werden, oder
alles fällt unter Saurons Herrschaft. Das Buch beschreibt nun die Fahrt der Hobbits und die
Gefahren und Wirrnisse, die ihnen auf diesem Weg nach Mordor bis zum glücklichen? Ende begegnen. Das glückliche Ende. Das Gute gewinnt zwar den
Kampf gegen das Böse. Aber dieser Kampf hat die Welt verändert. Sie wird nie mehr so sein, wie sie war. Das Böse gewinnt auch in der Niederlage. Es gibt bestimmt genug kompetente Leute, die über die Sprache von Tolkien referieren, die den Inhalt kommentieren und interpretieren können. Aber was macht den anhaltenden Erfolg
aus? Was macht den Zauber dieses Buches aus?Ich glaube, daß man entweder von diesem Buch gefesselt (verzaubert) ist, oder daß es einen kalt läßt und man es zur Seite legt und sich fragt, was soll das?
So ähnlich sah es auch der Rezensent der Oxford Times nach dem erscheinen des ersten Bandes: "Streng praktische Menschen werden keine Zeit dafür haben. Diejenigen aber, deren Phantasie sich anfachen läßt, werden
sich vollkommen mitgerissen finden, als Teilnehmer an der ereignisreichen Fahrt, und bedauern, daß nur noch zwei Bände kommen." Viele sind diesem Buch verfallen, lesen es wieder und wieder. Streifen mit Bilbo,
Frodo und Sam den Hobbits durch das Auenland, brechen mit ihnen auf zu ihren Abenteuern mit Streicher, dem Wesen Gollum und Gandalf, dem Zauberer. Kämpfen gegen Trolle, Orks und Wölfe, hassen und lieben und freuen sich
mit den Figuren dieses Buches. Mit den Elfen, den Zwergen, den Menschen. Treffen auf Trolle, auf Zauberer und auf Adler, die gegen Wölfe kämpfen. Menschen, die sich in Bären verwandeln, auf Bäume, die reden und laufen
können und die ihre Frauen verloren haben. W.H. Auden schrieb über das Buch: "Niemand scheint gemäßigter Ansicht zu sein; entweder sehen die Leute darin wie ich selbst ein Meisterwerk seiner
Gattung, oder sie können es nicht ausstehen." Und dabei sollte es bleiben, solange Tolkien lebte: höchstes Lob von der einen Seite, totale Verachtung von der anderen. Nun ich war überrascht, daß
meine erste Liebe, die bei einem Schulaufsatz im Grunde so nüchtern und logisch argumentiert hatte, sie möchte doch lieber sie selbst sein, hier sich für ein Buch begeistert, daß eine mythische, eine phantastische Welt
vor einem aufbaut. Eine Welt, die zwar gut und böse kennt, ja diesen ewigen Kampf zum Inhalt des Buches macht, aber in einer Welt spielt, die der Welt der Märchen und Sagen näher ist, als unserer Welt des 20.
Jahrhunderts. Viele führen dies an, um den Erfolg des Buches zu erklären. Die Flucht aus der Realität. Manche sehen in diesem Buch eine Parabel auf den Zweiten Weltkrieg. Dafür spricht, daß die
Entstehungszeit des Buches (1937-49) in diese Zeit fällt. Aber dagegen sprechen die Aussagen Tolkiens. Zum Thema Botschaft schrieb er im Vorwort des ersten Bandes in der deutschen Ausgabe:
"Was irgendwelche tiefere Bedeutung oder "Botschaft" betrifft, so gibt es nach der Absicht des Verfassers keine. Das Buch ist weder allegorisch noch aktuell. Als die Darstellung wuchs, schlug sie
Wurzeln (in der Vergangenheit) und verzweigte sich unerwartet, aber ihr Hauptthema lag von Anfang an fest, weil der Ring nun einmal das Bindeglied zwischen ihr und dem Hobbit war. Das entscheidende Kapitel "Der
Schatten der Vergangenheit", ist eine der ältesten Teile der Erzählung. Es war schon lange geschrieben, ehe die Vorzeichen des Jahres 1939 sich zur Drohung eines unentrinnbaren Verhängnisses verdichtet hatten, und
von diesem Punkt an hätte sich die Darstellung im wesentlichen in denselben Grundzügen weiterentwickelt, auch wenn das Verhängnis abgewendet worden wäre. Ihr Ursprung sind Dinge, die mir schon lange im Sinn lagen oder
in einigen Fällen schon niedergeschrieben waren, und wenig oder nichts wurde durch den Krieg, der 1939 begann, oder durch seine Folgen verändert. Der wirkliche Krieg ähnelt weder in seinem Verlauf noch in seinem
Abschluß dem Krieg der Saga. Hätte er den Fortgang der Sage inspiriert oder bestimmt, dann hätte man sich des Ringes bemächtigt und in gegen Sauron eingesetzt. Sauron wäre nicht vernichtet, sondern versklavt, und
Barad-dur nicht zerstört, sonder besetzt worden. Und weiter: Andere Lösungen können ersonnen werden, je nach dem
Geschmack oder Ansichten jener, die Allegorien oder aktuelle Bezüge schätzen. Aber ich habe eine herzliche Abneigung gegen Allegorie in all ihren
Erscheinungen, und zwar immer schon, seit ich alt und wachsam genug war, um ihr Vorhandensein zu entdecken. Wahre oder erfundene Geschichte
mit ihrer vielfältigen Anwendbarkeit auf das Denken und die Erfahrung der Leser ist mir sehr viel lieber. Ich glaube, daß viele Leute "Anwendbarkeit"
mit "Allegorie" verwechseln; aber die eine ist der Freiheit des Lesers überlassen, die andere wird ihm von der
Absicht des Verfassers aufgezwungen." Sein Freund Lewis bekräftigt: "Dies (Der Herr der Ringe) wurde nicht so
angelegt, daß es bestimmte Situationen in der realen Welt entsprachen. Umgekehrt, die realen Ereignisse begannen sich, furchtbarerweise, in das von ihm
frei erfundene Muster zu fügen. Tolkien sah sich als "Nachschöpfer", der Geschichten erfindet, um sich
dadurch dem Stand der Vollkommenheit zu näheren. In einem Gespräch mit C.S. Lewis über Mythen sagte er auf den Einwurf von Lewis,
Mythen seien Lügen, wenn auch durch Silber geblasen. Nein, sagte Tolkien, es sind keine Lügen. Und
er fährt fort: "Du nennst einen Baum Baum, und du denkst dir nichts weiter bei dem Wort. Aber es war
kein "Baum", solange ihm nicht jemand diesen Namen gegeben hatte. Du nennst einen Stern Stern und sagst
, das ist einfach eine Kugel aus Materie, die sich auf einer berechenbaren Bahn bewegt. Doch ds ist nur, wie du es siehst. Indem du die Dinge so benennst und sie
beschreibst, erfindest du nur deine eigenen Ausdrücke für sie. Und so wie das Sprechen ein Erfinden in bezug auf Objekte und Ideen
ist, so ist der Mythos ein Erfinden in bezug auf die Wahrheit. Wir kommen fährt Tolkien fort, von Gott und unvermeidlich
werden die Mythen, die wir ersinnen, obwohl sie den Irrtum enthalten, zugleich auch einen Funken des wahren Lichtes spiegeln, der ewigen Wahrheit, die bei
Gott ist. Ja, nur indem er Mythen schafft, indem er "nachschöpferisch" wird und Geschichten erfindet, kann
der Mensch sich dem Stand der Vollkommenheit nähren, den er vor dem Sündenfall gekannt hat. Unsere Mythen mögen irregeleitet sein, aber sie steuern
, wenn auch noch so unsicher, auf den rechten Hafen zu, während der materialistische "Fortschritt" nur in den gähnenden Abgrund und zur Eisenkrone des
Bösen führt. So sah sich Tolkien und er bekräftigt es an einer anderen Stelle: "Was eigentlich geschieht
ist, daß sich der Erzähler als ein erfolgreicher "Nebenschöpfer" erweist. Er schafft eine Sekundärwelt, die unser Geist betreten kann. Darinnen ist
"wahr", was er erzählt. Es stimmt mit den Gesetzen jener Welt überein. Daher glauben wir es, solange
wir uns gewissermaßen darinnen befinden. Sobald Unglaube aufkommt, ist der Bann gebrochen; der Zauber, oder vielmehr die Kunst hat versagt. Und dann sind wir wieder in der Primärwelt und betrachten die kleine, mißlungene Sekundärwelt von außen." Tolkien legte Wert auf die
"innere Wahrheit" seiner Sekundärwelt. Er erarbeitete Landkarten für seine Welt - die Geographie mußte
stimmen. Chronologie und Nomenklatur - alles mußte ganz stimmig sein. Er stellte Berechnungen über Zeiten und Entfernungen an, er erstellte Tabellen und
Stammbäume und sogar die Mondphasen mußten stimmen. An der Elbensprache arbeitete er 25 Jahre -
mit einem eigenen Alphabet und einer eigenen Schrift. Er beschrieb seine Arbeit in der Geschichte Blatt von Tüftler. Die Geschichte eines Mannes,
eines Malers, der - wie Tolkien - an Einzelheiten herumfeilte: "Er pflegte viel Zeit auf ein
einziges Blatt zu verwenden, um seine Form und seinen Glanz einzufangen und das Glitzern der Tautropfen an seinen Rändern. Und doch wollte er einen gewaltigen
Baum malen. Insbesondere ein Bild machte ihm Kummer. Er hatte angefangen mit einem Blatt, das im Wind wehte, und es wurde ein Baum;
und der Baum wuchs, er streckte unzählige Äste aus und bekam ganz phantastische Wurzeln. Seltsame Vögel kamen angeflogen und setzten
sich auf seine Zweige und mußten auch betreut werden. Dann begann überall um den Baum herum und hinter ihm
und in den Lücken zwischen den Blättern und dem Geäst eine Landschaft sich auszubreiten." Und diese genaue, ja penible und sich immer mehr
ausweidende Ausarbeitung dieser Geschichte, die zwar (wohl unvermeidlich) Fehler aufweist, aber die doch in seiner Gesamtheit eine Welt für sich darstellt, eine Sekundärwelt, die die Primärwelt weit hinter sich läßt.
Tolkien schreibt: "Ich wollte, daß die Leute einfach in diese Erzählung hineingeraten und sie (in gewissem Sinne) für wirkliche Geschichte nehmen. Und dies ist ihm gelungen. Er wurde zum Schöpfer einer eigenen Welt.
Meine erste Liebe, ich und viele andere sind in diese Welt geraten, haben sich darin verloren und kommen erst wieder zu klarem Kopf, wenn sie die letzte Zeile des dritten Bandes gelesen haben. Und das
macht wohl den Erfolg dieses Buches aus. Bei denen, die sich in diese Welt entführen lassen. Den anderen bleibt diese Welt verschlossen. Die Ersteren haben auch den einzigen Mangel festgestellt, den
dieses Buch hat: Das Buch ist zu kurz. Benutzte Literatur: "Der Herr der Ringe" Band 1: Die Gefährten
Band 2: Die zwei Türme Band 3: Die Rückkehr des Königs Fabelhafte Geschichten (Blatt vom Tüftler Alle erschienen im Klett-Cotta Verlag Humphrey Carpenter J.R.R. Tolkien - Eine Biographie Ullstein Taschenbuch |