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Der Boden unter ihren Füßen
Lustiger als Rushdie: Der verblüffende Erstlingsroman „Zähne zeigen“ von Zadie Smith Eigentlich hat alles mit ihrer Stimme zu tun. Überraschend tief ist die und ein wenig müde, manchmal vernuschelt und immer ironisch,
ziemlich distanziert und dabei doch weich, wenn sie will. Es war in Seattle im letzten Sommer, da stand Zadie Smith im Untergeschoss von M Coy Books vor lauter Leuten, die unter dem Arm geklemmt ihr dickes weißes
Buch hielten, auf dem in goldenen Buchstaben die Worte „White Teeth“ standen, und in den Augen hatten diese Leute jenen besonderen Glanz, der davon kommt, wenn Menschen zu viel in Buchhandlungen herumsitzen, Tee trinken
und in Literaturzeitschriften blättern. Als Zadie Smith an diesem Nachmittag auf die kleine Bühne kam, da sagte sie, dass sie etwas kaputt sei vom Jetlag und außerdem recht traurig, schließlich habe England gerade bei
der Europameisterschaft gegen Rumänien verloren. Dann klappte sie das Buch auf und begann von Archie zu erzählen und von Samad und all den anderen alten, weltmüden Männern, die jeden Tag in O’Connell’s Poolroom sitzen,
um sich die immergleiche Frage zu stellen, ob sie eggs, beans, chips und toast essen wollen oder lieber beans, eggs, chips, toast und mushrooms. Wenn man die Augen zumachte, dann hörte man den Singsang, der nach London
klang und nach klappernden Dominosteinen und dem Gerede schlecht gelaunter Männer. Wenn man die Augen öffnete, dann sah man eine junge Frau in Jeansjacke. Und irgendwie kamen diese Eindrücke nur schwer zueinander.
Woher haben Sie das, fragten die Leute nachher, woher wissen Sie das, wie geht das? Und weil Zadie Smith auf solche Fragen auch keine rechte Antwort wusste, weil sie erzählte, wie sie mit 22 Jahren als Studentin in
Cambridge den Roman „White Teeth“ begonnen hatte, weil sie auch ein wenig ratlos war angesichts des Erfolges ihres ersten Buches – gerade deshalb war das Geheimnis ihres Erfolges plötzlich ganz nah. Mit welcher
Blindheit mussten andere Schriftsteller durch die Welt gehen, dachte man, ohne mit solchen Geschichten nach Hause zu kommen? Kein besonders netter Gedanke, zugegeben. Zadie Smith ist eine Ausnahme, nicht weil sie
schwarz ist oder weil sie jung ist oder weil sie schön ist oder weil sie ein Buch geschrieben hat, das in England auch ein Jahr nach dem Erscheinen in den Verkaufslisten ganz oben ist – Zadie Smith ist eine Ausnahme,
weil sie zeigt, wie einfach und wie schwierig das Erzählen ist. Und wenn man so will, dann hat das mit den Stimmen zu tun: mit ihrer eigenen, aber auch mit den vielen anderen, die in ihrem dicken und weitgespannten
Roman aufklingen. Ihre eigene, wie gesagt, ist jung und dabei abgeklärt, sie kann spöttisch sein, schnippisch und schnell, aber auch neugierig, überraschend, forschend. Ihre Stimme klingt so, als zwinge sie sich zu
jedem Wort und könne doch nicht aufhören zu erzählen. Zadie Smith behandelt die Welt wie ein Kind, das schon alles über das Leben weiß, aber zu klug ist, alles zu erklären. Und dass ihr das gelingt, ist eine der
großen Stärken von „Zähne zeigen“, wie der Roman, der gerade im Droemer Verlag erschienen ist, in der Übersetzung heißt (Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. 656 Seiten, 44,90 Mark). Denn im
Unterschied zu ihren Altersgenossen, die die Welt gern aus einer Perspektive beschreiben, die zwischen Kniehöhe und Bauchnabel liegt, ist „Zähne zeigen“ von einer erzählerischen Energie befeuert, die die Figuren durch
verschiedene Zeiten und Räume treibt – und natürlich trotzdem beim Bauchnabel landet, aber eben, wie soll man sagen, auf eine epische Art. Und wer in dieser Welt etwas erklären will, der ist eh schon verloren. |
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Die Geschichte mit der Maus Die Themen sind groß, von denen Zadie Smith erzählt, und die Menschen sind klein, und wie
sie beides zusammenbringt, das ist eine Meisterleistung, die doch ein wenig staunen macht. Um Einwanderer aus Jamaika geht es und um Einwanderer aus Indien, um verkrachte weiße Engländer und verkrachte nicht-weiße
Engländer, um die Verwirrungen der zweiten und dritten Einwanderergeneration, die mit der Anhäufung von Vergangenheit, mit den Verstopfungen der Gegenwart und den ganz normalen Schrecken der einsetzenden Pubertät zu
kämpfen hat. Es geht um Religion, Fanatismus und eine kleine braune Gen-Maus, Zeugen Jehovas treten auf, radikale Muslime und radikale Tierschützer, und die Meisterschaft, mit der Zadie Smith die Balance hält aus
Tragik, Komik und dann eben auch Weisheit, zeigt sich schon auf den ersten Seiten ihres mehr als 600 Seiten langen Romans. Vom selbstmordwilligen Archie schwenkt der Taubenschwarm hinüber zur Fleischerei des dicken Mo
Hussein-Ishmael, dessen Weltsicht sich in einem Satz zusammenfassen lässt: "Die Scheiße ist nicht die Scheiße, die Taube ist die Scheiße. " Archie, der vor dem Selbstmordversuch in seinem alten,
abgasgefüllten Cavalier Musketeer Estate, wie bei allen wichtigen Entscheidungen in seinem Leben, eine Münze geworfen hatte, stolpert also wieder hinaus ins Leben, nachdem ihn Mo mit den Worten vertrieben hat:
"Dieser Ort hier ist halal. Koscher, kapiert? Falls Sie hier sterben wollen, mein Freund, müssen Sie leider vorher erst ordentlich ausgeblutet werden. " Es ist "früh am Morgen, Ende des
Jahrhunderts", genauer gesagt am 1. Januar 1975, und wer an diesem Tag noch lebt, der hat den Weltuntergang überstanden. Clara Bowden etwa, die bildschöne, zahnlose Tochter jamaikanischer Eltern, die wie ihre
Mutter und die anderen Zeugen Jehovas eigentlich mit einem umfassenden Abschied zu diesem Datum gerechnet hatte. Statt dessen trifft sie den nicht mehr ganz jungen Alfred Archibald Jones, eine etwas traurige Existenz,
und, wie man so sagt, die Geschichte nimmt ihren Lauf. Und während man so in den Sog der kleinen Wahrheiten und der großen Lügen gerät, den merkwürdigen Lebensläufen der Zwillinge Millat und Magid nachgeht und über
die bösen Witze von Zadie Smith lacht, während man also sehr begeistert dieses Buch liest, merkt man plötzlich, wie sehr man das alles vermisst hat: dass da jemand erzählt, und man weiß, warum. Jemand also, dem das
Erzählen ein Mittel ist, die verschiedenen Stimmen der Gegenwart aufzuzeichnen. In der Ebene des Pop ist da jemand, der ein Senkblei in die Vergangenheit herunterlässt – kein Wunder also, dass die sich überschlagende
Begeisterung in England, wo Zadie Smith neben anderen Auszeichnungen zuletzt den Whitbread Price für den besten Erstlingsroman gewann, auch gegen sie wendete. Zu konsensfähig, zu liberal, zu langweilig damit.
"Alles Vergangene ist Prolog" steht als Motto aus Shakespeares "Sturm" am Anfang des Buches. Oder, wie es auch heißen könnte: "the wicked lie, that the past is always tense and the future,
perfect", was dann in der auch sonst recht ungelenken Übersetzung zu der Lüge wird, "dass die Vergangenheit immer einfach und die Zukunft vollendet ist". Die aus dem Sumpf des Gestern geborenen
Geschichten aus einem London von heute sind auch deswegen so erfolgreich, weil sie nicht nur sprachlich brillant aufgeschrieben sind, sondern einen Raum eröffnen, der den meisten Büchern, gerade dieser Generation,
verschlossen bleibt. Eine Welt, in der man eine Tür öffnen kann, "und dahinter ist nur ein Bad oder ein Wohnzimmer. Bloß neutrale Räume. Und nicht dieses endlose Labyrinth aus gegenwärtigen Räumen und vergangenen
Räumen und Sachen, die vor Jahren darin gesagt wurden, und überall verteilt der historische Scheiß von allen Bewohnern. " Eine Welt ohne Vergangenheit, eine Welt ohne Geschichten. "Lucky motherfuckers. " |
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